Naturhistorische Zeitreise

Im Oktober 2006 konnte das Naturkunde-Museum seinen 100-jährigen Geburtstag begehen. Dies war für viele Sponsoren Anlass genug, dem Museum und den Bielefelder Bürgerinnen und Bürgern etwas ganz Besonderes zu schenken: Die Idee der Naturhistorischen Zeitreise bis in die Gegenwart war geboren. Spektakuläre naturhistorische Zeitzeugen kehrten symbolisch an ihre Fundorte in den unterirdischen Stadtbahn-Haltestellen zurück.
Das Naturkunde-Museum Bielefeld verfügt damit – wohl einmalig in Deutschland – über ein Ensemble von Museumsschaufenstern an allen Haltestellen der sehr stark frequentierten Stadtbahnlinien 1 und 4 zwischen Museum und Universität. An drei unterirdischen Haltestellen zeigen begehbare Bodenvitrinen spektakuläre Fossilien von Wollnashorn, Fischsaurier und Riesenlurch – die als Zeitzeugen vergangener Erdepochen auch zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Planeten Erde mahnen:
Abguss der Schädelreste eines Temnodontosaurus sp.
Fundort: Ehemalige Tongrube der Firma Klarhorst, Sudbrack
Fundschicht und Alter: Unterer Jura; ca. 190 Millionen Jahre
Das Skelett wurde in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem damaligen Museumspfleger des Naturkunde-Museums, Wilhelm Althoff, und Mitarbeitern der Preußischen Geologischen Landesanstalt Berlin geborgen. Durch die Kriegswirren sind heute nur noch wenige Bruchstücke eines ehemals vollständigen Skeletts im
Naturkunde-Museum vorhanden.
Die Schädelfragmente lassen auf eine Gesamtlänge von sieben bis acht Metern schließen. Damit repräsentiert der Bielefelder Ichthyosaurier das bisher größte Exemplar eines seltenen Temnodontosauriden aus diesem Zeitabschnitt. Schichten dieses Alters sind an dieser Stelle beim Stadtbahnbau angetroffen worden.
Skelett des Wollnashorns Coelodonta antiquitatis – Nachgestellte Fundsituation
Fundort: Flussterrassenkiese der Weser bei Petershagen
Fundschicht und Alter: Quartäre Flussterrassenschotter; ca. 20.000 Jahre
Die Knochen eines fast vollständigen Wollnashornskeletts gelangten in den Jahren 1978 bis 1980 durch den Privatsammler F. Brinkmann in das Naturkunde-Museum Bielefeld. Solche umfangreichen Skelettfunde eines Wollnashorns sind höchst selten. Beim Bau der U-Bahn sind Sandablagerungen der Weichsel-Eiszeit (80.000 bis 15.000 Jahre vor heute) angeschnitten worden. Neben dem Wollnashorn lebten hier andere kalteiszeitliche Säuger wie Mammut, Steppenwisent, Riesenhirsch und Rentier.
Schädel des Riesenlurchs Cyclotosaurus buechneri
Fundort: Baugrube Verwaltungsgebäude Sparkasse Bielefeld, Bezirk Sieker
Fundschicht und Alter: Mittlerer Keuper/Schilfsandstein; ca. 225 Millionen Jahre
Auf der Fahrt zwischen Siegfriedplatz und Oetkerhalle durchquert die U-Bahn Schichten des Schilfsandsteins, der reich an Pflanzenversteinerungen ist und so manche Überraschung bereithält. So wie auch damals für die Teilnehmer einer Sonntagsexkursion des Naturwissenschaftlichen Vereins unter der Leitung von Dr. Martin Büchner. In den Abendstunden des 21. Septembers 1975 starrte ihnen auf einmal aus den Gesteinstrümmern ein Schädel entgegen. Sie hatten den sensationellen Fund eines Amphibienschädels gemacht. Dieser Riesenlurch war wahrscheinlich über 1,5 Meter lang und ist ein Bote aus Zeiten, als das, was wir heute Europa nennen, noch gar nicht existierte. Er ist wahrhaftig ein Bielefelder Ur-Bürger und bisher weltweit der einzige Vertreter seiner Art – benannt zu Ehren seines Finders.
Im Gegensatz zu den anderen unterirdischen Stadtbahn-Haltestellen sind am Siegfriedplatz keine paläontologischen Befundstücke ausgestellt, sondern Originalbodenmaterial von Gründungsbohrungen. Dieses spiegelt „hier komprimierte“ 220 Millionen Jahre Erdgeschichte. Deren Darstellung wird dadurch besonders anschaulich, dass gewissermaßen als Zeitorientierung „Siegfrieds Tod“ markiert wird. Korrespondierend zur dargestellten Bodenzonierung werden Landschaftsaufnahmen präsentiert, die einen Eindruck vom Klimageschehen der den verschiedenen Bodenschichten zugeordneten Zeitzonen wiedergeben.